Vielversprechende Ansätze für klimaneutrales Bauen

Weltweit überlegen immer mehr Vermieter von Gewerbeimmobilien, wie sie bis spätestens 2050 die Klimaneutralität ihrer Objekte erreichen können. Einen klaren Klimapfad gibt es für die Immobilienbranche nicht. Dabei ist sie für annähernd 40 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. PropTech-Unternehmen richten den Fokus derweil auf erneuerbare oder recycelbare Baustoffe sowie „saubere Technologien“ und zeigen damit die Richtung an.

Das Interesse der Investoren an innovativen Lösungen für die Dekarbonisierung der Immobilienwirtschaft ist groß. So warb im Dezember 2022 die in den USA ansässige Venture-Capital-Gesellschaft Fifth Wall, die sich auf PropTech-Unternehmen konzentriert, 866 Millionen US-Dollar (umgerechnet 795 Millionen Euro) für den größten jemals in diesem Bereich aufgelegten Fonds ein. Gestützt wird Fifth Wall durch eine große Bandbreite von mehr als 100 strategischen Partnern aus mehr als 15 Ländern. Darüber hinaus hat die Gesellschaft einen VC-Fonds aufgelegt, der den Fokus ausschließlich auf Europa richtet. 


Laut Patrick Brenninkmeijer, Director of Business Development bei Redevco, liegt der Wert einer Investition in den „European Real Estate Technology Fund“ von Fifth Wall darin, dass man frühzeitig bei zukunftsweisenden PropTech-Lösungen einsteigen kann: „Das große Interesse an diesem Fonds unterstreicht den hohen Stellenwert, den innovative Technologien für die Immobilienbranche haben.“


Die europäische Venture-Capital-Gesellschaft 2150, die sich ebenfalls auf PropTech-Anbieter spezialisiert hat, wurde 2021 von dem Kopenhagener Unternehmen NREP gegründet. Auch sie erlebt einen Zulauf von Investoren, die auf potenzielle „Gigacorns“ erpicht sind. Gemeint sind damit wirtschaftlich tragfähige Unternehmen, die in der Lage sind, pro Jahr eine Gigatonne CO2 einzusparen oder zu binden, was ungefähr der Menge der CO2-Emissionen entspricht, die jährlich durch den Verkehr (einschließlich Luftverkehr) in der Europäischen Union verursacht werden. Zu den vielversprechenden Technologien zählen die neuartigen Fensterscheiben von Luxwall, die den Energiebedarf eines Gebäudes um bis zu 40 Prozent reduzieren können, oder das innovative Cleantech-Verfahren des kanadischen Unternehmens Carboncure, das der Betonmischung bei der Betonproduktion abgeschiedenes CO2 zuführt. 


Auch Union Investment sucht am Markt nach Innovationen, die darauf abzielen, die Nachhaltigkeit des Gebäudebestands schneller zu verbessern. Der letztjährige Gewinner des PropTech Innovation Award, der jedes Jahr von Union Investment zusammen mit Germantech verliehen wird, ist dafür ein typisches Beispiel: Das Unternehmen Made of Air produziert Werkstoffe, die mehr CO2 aus der Luft binden, als sie emittieren, und so die CO2-Bilanz von Gebäuden verbessern. 


Eine Herkulesaufgabe

Der PropTech Innovation Award sei eine bedeutende Plattform für vielschichtige Nachhaltigkeitskonzepte und habe bereits mehrere spannende Kooperationen hervorgebracht, erklärt Christoph Holzmann, Chief Operation Officer und Geschäftsführer der Union Investment Real Estate GmbH. Sein Fazit: „Die Nachhaltigkeit des Immobilienbestands zu verbessern ist eine Herkulesaufgabe, für die unsere Branche konkrete, praktikable Lösungen von innovativen Köpfen benötigt.“ 


Die Zementproduktion verursacht etwa 8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Damit ist sie der größte Einzelemittent im Industriebereich und steht im Fokus zahlreicher Technologieunternehmen, die nach skalierbaren Alternativen suchen. So unterstützt die Initiative Sustainable Solutions Collaborative des US-Finanzdienstleisters Morgan Stanley das kalifornische Start-up Carbonbuilt, das auf klimafreundlichen Beton setzt. Das Unternehmen reduziert den Einsatz von CO2-intensivem Zement und mineralisiert das bei der Produktion freigesetzte CO2, das somit der Atmosphäre entzogen wird. Auch die Stahlindustrie arbeitet daran, ihre Hochöfen künftig nicht mehr mit Kohle, sondern mit Strom zu heizen, der aus „grünem Wasserstoff“ erzeugt wird. 


Wer die CO2-Emissionen senken will, muss sie zunächst einmal messen. Das ist bei allen Dekarbonisierungsmaßnahmen der erste Schritt.
Lisette van Doorn CEO von ULI Europe

Die Immobilienbranche müsse für alle Optionen offen sein, wenn sie klimaneutral werden will, erklärt Lisette van Doorn, CEO von ULI Europe: „Die Baustoffe sind nur einer von vielen Aspekten und Holz ist eine nachhaltige Alternative für Stahl, Kunststoff und Beton, aber man kann schließlich nicht alles aus Holz bauen. Vor allem ist darauf zu achten, welche Mengen an Baustoffen für ein Gebäude tatsächlich benötigt werden. PropTech-Lösungen ermöglichen eine exakte Kalkulation und können so zur Reduzierung des Materialverbrauchs beitragen. Darüber hinaus birgt das Recycling vorhandener Baustoffe ein großes Potenzial.“


Neue Erfahrungen

Das dänische Unternehmen NREP hat das weltweit erste Gebäude errichtet, das zu 100 Prozent aus Recyclingbeton besteht. Jetzt richtet es sein Augenmerk auf den Bau des weltweit ersten Logistikgebäudes aus Brettsperrholzplatten (BSP), das nicht nur in Bezug auf das gebundene CO2 klimaneutral ist, sondern auch ohne externe Kompensationsmaßnahmen CO2-neutral betrieben werden kann. Das im schwedischen Balsta entstehende Logistikzentrum könnte durch die Nutzung von Solarenergie in Verbindung mit Wärmepumpe und Energiespeicher sogar mehr Energie erzeugen, als es verbraucht. Es ist das erste von drei „Earth Shot“-Projekten, mit denen NREP Erfahrungen sammeln will, die den Weg zur vollständigen Klimaneutralität bis 2028 ebnen sollen.


Bei NREP denkt man auch über das einzelne Objekt hinaus. So soll in Örestad, einem südlichen Stadtviertel Kopenhagens, das UN17 Village entstehen. Es handelt sich dabei um das erste Großprojekt, bei dem alle 17 UN-Nachhaltigkeitsziele umgesetzt werden sollen. Auch andere europäische Immobiliengesellschaften planen ganze Stadtviertel nach Maßgabe der Nachhaltigkeit. Das in Paris ansässige Unternehmen Nexity setzt seit 2009 auf Holzkonstruktionen und klimafreundlichen Beton sowie auf biologische und mineralische Baustoffe. Aktuell entwickelt es das Projekt Porte de Montreuil im Osten der französischen Hauptstadt. Dort soll ein klimaneutrales Quartier mit Büros und Wohnungen entstehen. Ein ähnliches klimaneutrales Mischnutzungsprojekt plant Nexity in Lyon. Die dort entstehenden Gebäude werden dank ihrer innovativen Bauweise ohne Heizung und Klimaanlage auskommen.


Wegweiser auf dem komplexen Weg zur Klimaneutralität

Nach modernsten ökologischen Standards errichtete Neubauobjekte leisten nur einen vergleichsweise kleinen Beitrag zur Klimaneutralität, da circa 80 Prozent des heutigen Gebäudebestands auch 2050 noch vorhanden sein werden. „Das Bewusstsein für die Dringlichkeit der energetischen Sanierung älterer Immobilien nimmt zu. Denn somit lassen sich die Energiekosten senken und die CO2-Bilanz verbessern“, erklärt Andy Hay, Managing Director EMEA Property Management bei Colliers. 


„Das konkrete Einsparpotenzial ist vom Alter und vom Zustand des Gebäudes und von der Art der Sanierungsmaßnahmen abhängig, aber generell können die Energiekosten durch energetische Sanierungen deutlich reduziert werden“, so Hay weiter. Es gebe auch immer bessere Möglichkeiten. In Rumänien sei beispielsweise ein Gebäude entstanden, bei dem die Fotovoltaikanlage in die Gebäudehülle integriert wurde.


Das konkrete Einsparpotenzial ist vom Alter und vom Zustand des Gebäudes und von der Art der Sanierungsmaßnahmen abhängig, aber generell können die Energiekosten durch energetische Sanierungen deutlich reduziert werden.
Andy Hay Managing Director EMEA Property Management bei Colliers

Vermietern steht eine große, ständig weiter wachsende Palette an Technologien für die Dekarbonisierung ihrer Portfolios zur Verfügung. Dazu gehören Gebäudemanagementsysteme, eine intelligente Zählerinfrastruktur, Analysesoftware, das IoT (Internet der Dinge) sowie Speicher für Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Auch grüne Mietverträge kommen immer häufiger zur Anwendung. „In Frankreich sind Vermieter und Mieter für die Senkung des Energieverbrauchs eines Gebäudes rechtlich gemeinsam verantwortlich“, so Lisette van Doorn. 


„Wer die CO2-Emissionen senken will, muss sie zunächst einmal messen. Das ist bei allen Dekarbonisierungsmaßnahmen der erste Schritt“, meint die ULI-Chefin abschließend.


Titelbild: Nexity

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