Anziehende Märkte

„Auf geht’s, Europa, wir gehen shoppen!“ – die Wiedergeburt des Einzelhandels ist an unterschiedliche Bedingungen geknüpft. Von Samuel Rhydderch

Kaum zu glauben: Obwohl der europäische Einzelhandel von der Pandemie arg gebeutelt wurde und schon seit Jahren Marktanteile an den Onlinehandel verliert, sind Immobilien dieses Segments bei Investoren inzwischen wieder gefragt. Nachholeffekte sind wie in den Bereichen Reise und Hospitality die Treiber des Aufschwungs im Einzelhandel. 


Der Global Retail Attractiveness Index von Union Investment wies für 6 der 15 bewerteten EU-Märkte im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen positiven Trend aus. Im zweiten Quartal konnten schon 12 von 15 Ländern Zuwächse verzeichnen. „Zusätzlich zu den bereits seit Längerem zu beobachtenden positiven Trends auf dem Arbeitsmarkt und bei den Einzelhandelsumsätzen gibt nun auch der Anstieg bei der Verbraucherstimmung in den meisten europäischen Ländern Anlass zur Hoffnung, dass sich die Erholung in der Breite weiter fortsetzt und die Märkte auf ihr Attraktivitätsniveau vor der Pandemie zurückkehren“, sagt Roman Müller, Leiter Investment Management Retail bei Union Investment. 


Die Verbesserung der Verbraucherstimmung in den meisten Märkten weist auf eine breitflächige Erholung und eine perspektivische Rückkehr zum Vor-Corona-Niveau hin.
Roman Müller Leiter Investment Management Retail, Union Investment

In der europäischen Immobilienbranche geht die Investitionstätigkeit aufgrund der steigenden Finanzierungskosten und wirtschaftlicher Unwägbarkeiten seit dem vierten Quartal 2022 insgesamt zurück. Im Gesamtjahr 2022 bewegte sich das Transaktionsvolumen in Europa mit etwa 40 Milliarden Euro auf dem Vorjahresniveau, wie JLL ermittelt hat. Dabei hat die Einzelhandelsbranche in der Rangliste der europäischen Immobilieninvestitionen wieder leicht zugelegt. 


Fachmarktzentren sind derzeit bei Investoren besonders stark gefragt

Nach Angaben von BNP Paribas stieg der Anteil der Investitionen in Einzelhandels­immobilien 2022 gegenüber 2021 von 14 auf 16 Prozent. Der Anteil der Investitionen in Büroimmobilien sank im selben Zeitraum von 39 auf 36 Prozent und bei Logistikimmobilien von 24 auf 22 Prozent. Sandra Ludwig, Head of Retail Investment EMEA bei JLL, erklärte in einem Interview mit IPE Real Assets, ihrer Ansicht nach würden Einzelhandelsimmobilien in den kommenden fünf Jahren von allen Immobilienkategorien die beste Performance erzielen, Fachmarktzentren seien bei Investoren derzeit besonders stark nachgefragt.


Fachmarktzentren waren während der Pandemie das stärkste Segment im Einzelhandelsimmobilienmarkt. Sie bergen im Hinblick auf Energiewende und Strukturwandel wohl auch das größte Potenzial, denn die üblicherweise großflächigen Standorte in städtischen Randlagen eignen sich bestens für die Installation von Solaranlagen und die Schaffung nachhaltiger Wohnsiedlungen.


Nicht nur lokale Akteure wie GPEP und Habona in Deutschland oder Trei in Polen richten den Fokus auf nationaler Ebene auf Strategien für Lebensmittelmärkte und Fachmarktzentren. Auch europaweit agierende Plattformen wie Savills IM und Union Investment, die ein starkes lokales Netzwerk in Verbindung mit einer langfristigen Erfolgsbilanz und einem ausgefeilten institutionellen Ansatz bieten, bauen ihr Engagement im Segment Essential Retail weiter aus.


40

Milliarden Euro

erreichte das europäische Transaktionsvolumen 2022 und lag damit in etwa auf dem gleichem Niveau wie 2021.

Quelle: Jll Research

Neue, lebendige Wohnviertel in der Nähe von Einkaufszentren schaffen

Die in Amsterdam ansässige Immobilien­gesellschaft Redevco gab Anfang des Jahres bekannt, eine der größten Asset-Management-Plattformen Europas für Fachmarktzentren schaffen zu wollen, mit einem AuM von rund 4,5 Milliarden Euro verteilt auf Deutschland (60 Prozent der Bruttomietfläche), Belgien (38 Prozent) und Frankreich (2 Prozent). „Wir haben die Möglichkeit, in der Nähe unserer Zentren, die üblicherweise am Stadtrand gelegen sind, lebendige Wohnviertel zu schaffen“, so Herman Jan Faber, Head of Business Development bei Redevco. 


„Mischnutzungskonzepte könnten, sofern es der örtliche Bebauungsplan zulässt, Einzelhändler als Ankermieter, Last-Mile­Logistik und bezahlbaren, umwelt­freundlichen Wohnraum miteinander verbinden und so der europaweit herrschenden Wohnungsmarktkrise entgegenwirken.“ Auch das Fashion-Outlet-Geschäft hat die Pandemie mit Vollgas hinter sich gelassen. Outletzentren profitieren insbesondere von der Wiederbelebung des europäischen Tourismusmarkts. Das vergleichsweise günstige Warenangebot und der Erlebnischarakter machen sie für die Verbraucher attraktiv. Ergebnis: hohe Umsatzzuwächse.


Outletcenter sind beliebte Ausflugsziele für zahlungsbereite Touristen

Beim Unternehmen Via Outlets, das europaweit elf Zentren betreibt, war der Umsatzanstieg 2023 deutlich spürbar, wie CEO Otto Ambagtsheer berichtet. Der Tourismus sei ein wichtiger Faktor für den Erfolg von Via Outlets, da Touristen im Durchschnitt sechsmal mehr Geld als die ortsnahen Besucher ausgeben. 


„Natürlich ist die schnelle Erholung auch auf die günstigen Preise in unseren Outlets zurückzuführen, die besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Kunden anlocken. Außerdem zahlt es sich aus, dass wir massiv in unsere 3R-Strategie ‚Remerchandising, Remodelling und Remarketing‘ investiert haben“, meint er. Die süd- und osteuropäischen Märkte, in denen das Segment der Einkaufszentren deutlich stärker aufgestellt ist als das der High-Street-Immobilien, verzeichnen generell höhere Wachstumsraten als die Länder Nord- und Westeuropas. 


5,7

Milliarden Euro

umfassten 2022 die Investitionen in Einzelhandelsimmobilien in Südeuropa, diese stiegen damit um 120 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Quelle: Savills

So stiegen laut Savills die Investitionen in Einzelhandelsimmobilien in Südeuropa 2022 um 120 Prozent im Jahresvergleich auf 5,7 Milliarden Euro, den höchsten Stand seit 2018. Im europäischen Durchschnitt wurde im selben Zeitraum lediglich ein Plus von 14 Prozent verzeichnet.


„Nach der empfindlichen Störung der weltweiten Lieferketten durch die Covid­19-Pandemie und der durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Energiekrise waren die Preissteigerungen so hoch wie zuletzt vor 40 Jahren. Doch die Inflationsrate geht allmählich wieder zurück“, erklärte kürzlich Rafal Benecki, Chefvolkswirt der ING Bank in Polen, beim Nepi Rockcastle Retailers Day Forum in Warschau. „Es kam in ganz Europa zu einem Konsumeinbruch, der in Polen allerdings nicht so stark wie in den westlichen Ländern ausfiel. Das verfügbare Einkommen stieg im Osten schneller als im Westen. Dementsprechend verbesserte sich die Verbraucherstimmung.“ „Wir sind geradezu kometenhaft aus der Pandemie hervorgegangen“, so Rüdiger Dany, CEO von Nepi Rockcastle, anlässlich des Forums in Warschau. „In den CEE-Ländern stehen Einkaufszentren hoch in der Gunst der Verbraucher. Sie haben dort einen höheren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellenwert als in Westeuropa, wo hin­gegen der High-Street-Einzelhandel ausgeprägter ist.“


In den CEE-Ländern punkten Einkaufszentren als starker Konsummotor

„Das heißt auch“, ergänzt Dany, „dass sich die Inflation in Mittel- und Osteuropa weniger stark als in Westeuropa auf das Konsumverhalten in den Einkaufszen­tren auswirkt. Einkaufszentren haben in den CEE-Ländern eine besondere Marktstellung, weil sie als wirtschaftliche und kommunale Knotenpunkte dienen und über den traditionellen Einzelhandel hi­naus eine Reihe von weiteren Funktionen übernehmen. Daher sind sie ein starker Konsummotor.“


Von Samuel Rhydderch


Titelbild: NEPI Rockcastle

Mehr zu diesen Themen: